Samstag, 24. Oktober 2009

Demokratie durch Digitalisierung - Das „vernetzte“ Europa der zwei Geschwindigkeiten?

Will man jedem Jahrhundert seit der Französischen Revolution eine bestimmte Phase der demokratischen Entwicklung zuordnen, so ließe sich historisch fundiert sagen, dass das 19. Jahrhundert die Phase des Kampfes um die Verwirklichung demokratischer Ideale bildet. Das 20. Jahrhundert stünde in diesem Zusammenhang wiederum für den schlussendlichen Siegeszug der Demokratie – nach der Auseinandersetzung mit konkurrierenden (totalitären) Herrschaftsmodellen. Besiegelt das 21. Jahrhundert nun schließlich den Untergang dieser Staatsform im Sinne der Trias von Entstehung, Etablierung und Untergang/Ersetzung aller historischen Errungenschaften?

Ungeachtet dessen, dass die geschichtliche Entwicklung sich nur selten voraussagen lässt, hält das 21. Jahrhundert ernstzunehmende Gefahren für die Stabilität der Demokratie bereit. Hierzu zählen insbesondere Faktoren wie die zunehmende Entgrenzung von Wirtschaft, Politik oder auch Kriminalität sowie der zunehmende Trend zur Individualisierung und damit auch Zersplitterung der Gesellschaft. Im Rahmen der Versuche, neue Formen demokratischer Herrschaft zu entwickeln, entstand unter anderem die Europäische Union. Sie scheint bisher der wohl vielversprechendste Lösungsversuch im Hinblick auf die oben genannten Probleme zu sein und aus diesem Grund wird ihr Ausbau auch immer weiter vorangetrieben.

Dennoch gibt es nach wie vor Herausforderungen, denen weder von den Nationalstaaten noch von der E.U. oder ihr verwandten Institutionen ausreichend Beachtung geschenkt worden ist. Hierzu gehört unter anderem die viel beschworene, aber deswegen auch nicht weniger ernstzunehmende, Digitale Spaltung (Digital Divide). Sie bezeichnet die Tatsache, dass im heutigen Informationszeitalter der Zugang zu modernen Kommunikationsmitteln – insbesondere zum Internet – ungleich verteilt ist. In der Debatte um die potenzielle Funktion des Internets als demokratisches Leitmedium und Partizipationsmöglichkeit für eine breite gesellschaftliche Schicht darf darüber nicht hinweggesehen werden.

Diese (infra-)strukturelle Ungleichverteilung in den einzelnen Ländern der Europäischen Union ist deswegen auch so prekär, weil sich hierin – noch viel stärker als bei der politischen Integration – ein Europa der zwei Geschwindigkeiten abzeichnet. Drastischer formuliert könnte man auch von der Gefahr einer erneuten Spaltung Europas sprechen. Zieht man beispielsweise die aktuellen Zahlen zur Internetnutzung zu Rate, so zeigen sich deutliche Unterschiede von West nach Ost. Während beispielsweise 2/3 der Deutschen und Franzosen, 80 % der Briten und sogar 85% der Niederländer das Internet nutzen, sind es in Polen schon nur noch knapp die Hälfte, in Bulgarien und Rumänien lediglich 25% und in der Ukraine etwa 15 %.

Eine ganz andere Frage ist es darüber hinaus noch, wie viele von diesen Personen mit diesem Medium umgehen können. Auch hier schwanken die Zahlen je nach Alter oder Bildungsstand, sodass sich am Ende nur noch eine dünne Schicht aus jungen, wohlhabenden und gebildeten Personen herauskristallisiert, die mit den neuen Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten umgehen können. Dies ist gerade bei dem hohen Grad an gesellschaftlicher Polarisierung in den östlichen Transformationsstaaten (Gegensatz von arm/reich, Stadt/Land) ein ernstzunehmendes Problem, denn so haben Wenige großen Einfluss auf Viele. Rechnet man nun noch die rasant voranschreitende technologische Entwicklung hinzu, die dafür sorgt, dass sich die Geschwindigkeit des Informationsflusses aller paar Monate verdoppelt, so verwandelt sich das Internet vom basisdemokratischen Heilsversprechen zu einem gefährlichen Instrument, mit dem erheblicher Missbrauch getrieben werden kann. Denkt man diese Entwicklung schließlich nicht im europäischen, sondern im globalen Maßstab, so wird die Gefahr für die Demokratie durch die immer schnellere medientechnologische Entwicklung noch deutlicher.

Das soll nicht heißen, dass die Geschichte nun doch vorhersehbar wäre und die Demokratie im Informationszeitalter eine veraltete Form der Herrschaft ist, die in der heutigen Zeit keinen Platz mehr hat. Im Gegenteil! Sie lebt vielmehr von immer neuen Gefahren und Herausforderungen und sie lebt davon, dass Bürger und Politiker immer wieder neu über ihre Weiterentwicklung verhandeln und sie als schwer erkämpftes und kostbares Gut betrachten, dass es zu bewahren gilt. Hierzu trägt auch das Internet einen äußerst wichtigen Teil bei, denn nicht umsonst kämpfen Staaten wie beispielsweise China gegen seine Nutzung an. Bei aller Euphorie dürfen jedoch nicht die Gefahren übersehen werden, die ein allzu unvorsichtiger Umgang sowie überhöhte Erwartungen an die Leistungsfähigkeit des World Wide Webprovozieren – gerade in der sensiblen Phase der Schaffung eines demokratischen Europa.

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